Für das heutige Thema bin ich nicht allein verantwortlich, ich wurde wie man neudeutsch sagt "angetriggert". Der Auslöser, mich selbst mit dem Thema ein bisschen zu beschäftigen war eine Diskussion über das Force on Force Regelwerk. Im Zuge der Diskussion fielen folgende Sätze:
"Wie kann man 'echten' Krieg nachspielen und das gut finden? Fantasy oder so könnte ich durchaus verstehen, aber im historischen Fall repräsentieren deine Truppen ja echte Menschen."
Das hat mich sehr stark ins Grübeln gebracht wie ich gestehen muss - was ich prinzipiell sehr gut finde. Damit ich das Thema nun wirklich ausschöpfend abhandle möchte ich tatsächlich noch ein wenig mehr ausholen.
Was ist das Hobby überhaupt?
Das Hobby "Tabletop" ist, ein sehr vielschichtiges Hobby. Meist wird in diesem Zusammenhang das Malen, Basteln, Spielen sowie der generelle Umgang in der (Internet-)Gesellschaft erwähnt. Über die "Tabletop-Gesellschaft", speziell auch im
Zusammenhang mit den Leitmotiven des Metal hatte ich in einer vergangenen Episode geschrieben.
Ein Tabletopspiel bedeutet in jedem Fall die Aufbringung von Zeit und Geld, aber auch die Chance auf eine einzigartige Weise sich mit anderen Leuten zu messen. In Form eines taktischen Gefechts, einer Schlachtsimulation. Nur nicht am PC, virtuell, sondern in Form von selbst gestaltetem Gelände, aufwändig bemalten Miniaturen, Maßbändern, Würfeln und einem menschlichen Gegenspieler in Armweite.
Es gibt Unterschiede im Maßstab, im Eskalationsgrad - also Taktik auf Regimentsebene oder Truppebene, als auch im Genre.
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Field Of Glory Spiel |
Es gibt Fans des fantastischen Genres, dann wieder Leute die eher Science-Fiction Spiele bevorzugen und letztlich auch Spieler des "Historischen Tabletops". Dieses Subgenre beschäftigt sich mit tatsächlichen Kriegen, Schlachten und Gefechten der Weltgeschichte. Aus der frühen, vorbiblischen Epoche bis hin zur Moderne des 21. Jahrtausends. Die Besonderheit, im Gegensatz zu den "erfundenen" Tabletops, ist der starke Bezug zur Realität und die schlechtere Abstrahierbarkeit der Gefechte.
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Axis and Allies |
Schlachtsimulation? Kriegsspiele? Warum macht es Spaß Krieg zu simulieren?
Genau das ist der falsche Ansatz. Es macht keinen Spaß Krieg zu simulieren. Krieg ist schrecklich, menschenverachtend und generell nichts was ich gerne in irgend einer Form näher simulieren oder erleben möchte. Viel mehr geht es um einen taktischen Wettstreit, einem strategischen Vorgehen und austarieren von Kräften. Der Reiz fängt bei der Vorbereitung der Armee an und geht über das Entwerfen perfider Schlachtpläne bis hin zu gekonnter Truppenaufstellung hinweg. Es ist immer wieder aufs neue spannend seinen Gegenspieler versuchen auszutricksen - mit kleinen Zinn- und Plastikfigürchen die man selbst in liebevoller Handarbeit bemalt hat. Auf einem Spieltisch in den man ebenfalls Zeit, Geld und vor allem Arbeit gesteckt hat.
Aber wie soll das gehen wenn die Figuren echte Menschen darstellen?
Das ist der springende Punkt und auch der Aufhänger dieses "Aufsatzes" - Ist historisches Tabletop verwerflich(er)? Die Antwort ist ein klares Jein. Es kommt, wie so oft, auf die Person hinter den Würfeln an. Und damit im Umkehrschluss auf die Art und Weise wie das Hobby betrieben wird. Und wie es von Seiten der Anbieter dargestellt wird.
Eine Diskussion zu dem Thema mit einem Brettspiel affinen Kollegen ließ uns zu den zwei Spielen "Axis and Allies" sowie "Tide of Iron" kommen. Während ersteres kleine Marker, wie z.B. U-Boote verwendet, nutzt "Tide of Iron" Squads aus kleinen Plastiksoldaten, die wenn sie ausgeschaltet wurden, von ihrem Base entfernt werden. Die Art und Weise wie hier abstrahiert wird sind vollkommen anders - doch was ist besser? Tatsächlich jeden Verlust mitbekommen? Oder "Mist, noch ein U-Boot weniger"? Ist Tabletop weniger moralisch Verwerflich wenn man nur mit Blanken MDF-Bases spielt auf denen Truppenkennungen stehen?
Nein. Der Effekt ist der selbe - es wird ein Truppentyp dargestellt. Der Darstellungsgrad ist hierbei unerheblich, die Abstraktion fällt nur unterschiedlich schwer bzw. leicht. Der springende Punkt ist eher: Greift man selbst als Kunde lieber zu den kleinen Soldaten weil man möchte das man kleine Plastiknazis von ihren Sockeln runterrupfen kann wenn sie "sterben" oder genügt es einem einen kleinen Marker vom Tisch einfach wegzunehmen? Und: In wie fern steuert der Anbieter dies?
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Inhalt altes Starterset Flames Of War. Man beachte die zwei grauen Würfel |
Das populärste mir bekannte Beispiel in diesem Kontext ist der Hersteller Battlefront. Diese neuseeländische Firma vertreibt das 2.Weltkriegstabletop Flames of War, kurz FOW. Selbstverständlich kann man sich für eine Seite und Armee entscheiden und die entsprechenden 15mm Figuren kaufen. Man kann sogar Waffen SS spielen - Division "Das Reich" oder Division "Hitlerjugend" - z.B.. Und nun kommt der springende Punkt: Dieser Teil der Streitmacht "Deutsches Reich" verfügt über Sonderregeln welche die SS qualitativ der Wehrmacht überlegen machen. Dekoriert wird das ganze in den Regelwerken mit entsprechender Symbolik und Texten welche "heroische" Aktionen der Soldaten beschreiben. Lustiger Weise kann man auch noch passende Würfel und Marker dazu kaufen, da freut man sich gleich doppelt über die Siegrunen statt der sechs. Auf den Würfeln für das Deutsche Afrikakorps waren/sind sogar kleine Hakenkreuze. Da fehlt nur noch der Hitlergruß beim Kniffel.
Und genau da ist das Problem. Das Deutsche Reich, insbesondere die Waffen SS, wird leider viel zu oft sehr verklärt dargestellt, hier als "professionelle, furchtlose, ehrbare Truppe". Unterstützt durch zum Teil schäbige, reisserische Literatur, fern jeglichen historischen Auftrages, ist das Hauptaugenmerk eine Identifikation mit der Armee herzustellen.
Viele Regimenter, und damit auch Soldaten, der SS waren menschenverachtende Kriegsverbrecher. Damit will man sich doch auf jeden Fall identifizieren, oder nicht?
Der Punkt ist wie man damit umgeht. Ich habe selbst mal FOW gespielt - sogar besagte Waffen-SS. Aber warum habe ich das gemacht? Ganz sicher nicht weil ich es "geil" fand SS zu spielen. Oder weil ich eine knallharte Elite Truppe haben wollte. Ich war schlicht faul. Und bei der SS musste man am wenigsten anmalen um eine spielbare Armee zusammenzubekommen.
Auseinandergesetzt habe ich mich mit dem 2. Weltkrieg trotzdem erneut. Vieles war aus der Schule bekannt, sehr vieles aber leider auch nicht. Und das hat mir auch tatsächlich Spaß gemacht. Das recherchieren. Das realisieren. Das aufarbeiten. Doch es gibt sicherlich auch Spieler die sich darüber freuen wenn ihre kleinen Nazis die kleinen Amerikaner abschießen und sich überhaupt nicht mit der Geschichte des 2. Weltkrieges befassen wollen. Hauptsache der Tiger Panzer rumpelt durch Frankreich. Oder zumindest durch den Boccage.
Was ist mit anderen Epochen?
Ein anderes Beispiel ist der Vietnam Krieg und die sehr neutral gehaltene Präsentation in Charlie Don't Surf. Keine heroischen Geschichten. Keine Amerikanischen Würfel. Keine Vietcong Marker. Keine Überheroisierung der amerikanischen Streitkräfte. Die Motivation sich wirklich einzulesen in den historischen Hintergrund dieser Konflikte ist nur bei wenigen gegeben.
Ich habe schon das ein oder andere Mal Charlie Don't Surf gespielt, aber nur mit historischem Halbwissen. Ich fand das Regelwerk gut, aber irgendetwas hat gefehlt, etwas, was man im Rahmen von Fantasy und Sci-Fi Tabletops nicht vermisst: Das Hintergrundwissen. Inzwischen habe ich mir von Osprey endlich das Essential Histories - The Vietnam War 1965-1975 gekauft und auch gelesen.
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Osprey Literatur zum Vietnam Krieg. Empfehlenswerter Start. |
Mein Wissen vor der Lektüre des Buches kann mit Wohlwollen als "gefährliches Halbwissen" aus Filmen wie "Wir waren Helden", "Forrest Gump" und "Apocalypse Now!" bezeichnet werden. Nachdem ich das Buch gelesen hatte und mich tatsächlich, endlich mal informiert hatte, war ich komplett baff. Die Vereinigten Staaten haben sich in dem Konflikt wahrlich nicht "sauber" verhalten (
Agent Orange,
Agent Blue,
Napalm,
Massaker von My Lai, Operation Linebacker I und II uvm.), ebenso wenig die anderen am Krieg beteiligten Streitmächte (u.a. Viet Cong, NVA) und Staaten (z.B. Frankreich). Dennoch wird vieles davon eher spärlich behandelt, geschweige denn die Ereignisse kurz nach dem
Krieg. Napalm und Agent Orange sind vielen ein Begriff, ebenso der Einfluss den der Vietnam Krieg noch heute auf die amerikanische Kultur und Politik hat. Dennoch: Die Liste der Sachen die ich vorher nicht wusste ist elendig lang und nur ein Indiz für meine eigene Unwissenheit - weswegen ich das hier jetzt nicht weiter erwähnen werde.
Der Punkt auf den ich eigentlich hinaus möchte: Ich habe etwas aus dem Tabletop gelernt. Und damit sind wir wieder an einem wichtigen Punkt: Geschichte darf nicht totgeschwiegen werden. Aktives Aufarbeiten in spielerischer Weise bewirkt eher das Gegenteil.
Der Vietnamkrieg war eine Vollkatastrophe aus menschlichen Gesichtspunkten. Dennoch hat das Tabletop zumindest mich dazu bekommen mich aktiv mit der Zeit und der Geschichte auseinanderzusetzen. Ohne Charlie Don't Surf oder Force On Force: Ambush Valley hätte ich mich wahrscheinlich gar nicht mit dem Konflikt auseinandergesetzt. Ohne Beneath The Lily Banners wüsste ich immer noch nichts über den spanischen Erbfolgekrieg. Ohne Flames Of War wüsste ich weniger über den 2. Weltkrieg und insbesondere die Geschichte der SS. Ohne Field Of Glory wüsste ich wohl das es mal nach Alexander dem Großen noch Makedonien gegeben hat - welche Rolle sie Welthistorisch gespielt haben auf keinen Fall.
Lerneffekt durch Spielen schön und gut - doch warum andere Epochen/Genres?
Die Fragestellung zielt auf etwas ganz bestimmtes ab: "Warum fange ich damit an, mich mit etwas zu beschäftigen?" Die Antwort ist oft recht unterschiedlich, beim Vietnamkrieg sind es Hubschrauber. Dieser Krieg war mit der erste größere Konflikt bei dem sehr stark auf Hubschrauber zurückgegriffen wurde. Die Hubschrauber stellen ein neues taktisches Element dar das ich gerne ausprobieren wollte. Hochmobile Einheiten mit geringen Chancen eine Position dauerhaft zu verteidigen klang nach etwas völlig anderem als ich es dato gespielt hatte.
Andere Entscheidungskriterien können auch bereits vorhandenes historisches Wissen sein - eine Epoche kann besonders strategisch anspruchsvoll sein oder besonder Konflikte enthalten, wie z.B. die Schlacht bei Issos oder die Schlacht bei Austerlitz oder sogar die Schlacht bei Waterloo. Der springende Punkt: Das Ergebnis der Schlacht ist zu Beginn ja noch vollkommen unbekannt. Was wenn Napoleon seine Infanterie stärker hätte vorrücken lassen? Was wenn er sie stattdessen langsamer hätte marschieren lassen? Was wenn er doppelt soviel Artillerie aber weniger Kavalliere gehabt hätte? Was wäre wenn? Dies macht, zusammen mit den stark unterschiedlichen, strategischen Möglichkeiten einen großen Reiz des historischen Tabletops aus.
Fazit?
Ein historisches Tabletop ist genauso verwerflich wie andere Tabletops. Es ist eine Schlachtsimulation. Und ist damit genauso verwerflich wie andere, PC-basierte Strategiespiele oder Brettspiele. Es hat ein größeres Potential zur Verwerflichkeit bietet aber auch die Möglichkeit sich aktiv mit der Geschichte eines Konflikts, einer Epoche oder eines Feldzuges auseinanderzusetzen. Wie so oft im Leben gibt es keine allgemein gültige Antwort. Jeder der mag sollte sich einfach diese sehr simple Frage stellen:
"Warum spiele ich dieses Spiel jetzt und was macht mir genau Spaß daran?"
Ich für meinen Teil werde in Zukunft ein wenig darauf achten. Und weiterhin nicht gegen Leute spielen die mit Hakenkreuzwürfeln und Brett vorm Kopf spielen.
Und würde mich wirklich über eine Diskussion zu dem Thema freuen. Ich finde es nämlich wirklich spannend wie andere darüber denken.